- Schrift: Festhalten von Sprache
- Schrift: Festhalten von SpracheErst mit der Erfindung des Phonographen und anderer Aufzeichnungsgeräte standen die technischen Möglichkeiten zur Verfügung, gesprochene Sprache in ihrer Lautgestalt festzuhalten und zu analysieren. Wo linguistische Forschung sich zuvor mit der Sprache befasste, war sie zumeist auf Dokumente ihrer schriftlichen Fixierung angewiesen.Die Vorläufer moderner SchriftenDie Verbindung zwischen Sprache und Schrift ist aus kulturgeschichtlicher Perspektive noch relativ jung. Denn die meisten Schriftsysteme sind nicht aus dem Bedürfnis heraus entwickelt worden, gesprochene Sprache festzuhalten. Vielmehr standen administrative Erfordernisse im Vordergrund, als sich beispielsweise in Babylonien die Keilschrift auszubilden begann. Mit der Entstehung der frühen Hochkultur an der Wende vom 4. zum 3. vorchristlichen Jahrtausend hatte sich mit der immer komplexer werdenden Verwaltung die Notwendigkeit ergeben, administrative Vorgänge in irgendeiner Form zu dokumentieren. Wurden hierfür zunächst noch Zählsymbole verwendet — Figuren, wie sie möglicherweise bereits seit dem 9. Jahrtausend in Vorderasien belegt sind —, so wurde diese Gegenstandsschrift relativ rasch durch eine Bilderschrift abgelöst.Der Sinn des jeweiligen Zeichens war dabei unmittelbar mit der Sache verbunden und die Schrift weitgehend unabhängig von der jeweiligen Sprache. Solche Piktographien, die in manchen Fällen um Zählsymbole und Darstellungen von Begriffen und Ideen erweitert wurden, sind mit den Vorläufern der Keilschrift ebenso überliefert wie mit den archaischen Formen der chinesischen und altägyptischen Schrift, den Schriften der Eskimo oder teilweise auch den Schriften der Indianer.Indem sich schließlich der Inhalt des Zeichens von der Sache selbst ablöste und dieses sich stattdessen mit dem Wort für sie verband, entstand die Wortschrift, in der jedem Wort ein Bildzeichen entspricht. Unabhängig voneinander kam in mehreren Schriftsystemen das Rebusprinzip auf, nach dem man gleich lautende Wörter unabhängig von ihrer Bedeutung mit dem gleichen Zeichen schrieb. An die Stelle solcher logographischer Schriften traten später Schriften, die die Orientierung an der Lautgestalt konsequent weiterführten und, zum Teil im Rückgriff auf die Notation einsilbiger Wörter, jeder Lautsilbe ein bestimmtes Zeichen zuordneten. Damit war der Schritt zur Phonetisierung der Schrift endgültig vollzogen und diese zum »Gefäß« des Gesprochenen geworden, das von der Bedeutung der Ausdrücke weitgehend absieht. Zugleich hatte sich der Zeichensatz der Schrift erheblich reduziert, was ihren Gebrauch erleichterte. Allerdings sind reine Silbenschriften selten. Meist finden sich, wie etwa im Falle der ältesten Formen der Keilschrift oder der Schrift der Maya, Kombinationen aus Wort- und Silbenschrift.Die abendländischen AlphabeteSumerer, Chinesen und Maya schufen unabhängig voneinander eigene Wort- beziehungsweise Wort-Silben-Schriften, aus denen sich im Laufe der Zeit weitere Zeichensysteme entwickelten. So entstand die japanische Schrift gewissermaßen als Tochterschrift aus der chinesischen, die seit dem 2. vorchristlichen Jahrtausend belegt und damit die älteste der heute noch gebräuchlichen Schriften ist. Alle Alphabetschriften hingegen gehen auf eine Wurzel zurück, auf die semitischen Schriften. Ihrerseits abgeleitet aus der ägyptischen Schrift ging diese Notation im 2. Jahrtausend vor Christus dazu über, nur die Konsonanten festzuhalten, also wie die modernen arabischen oder hebräischen Sprachen bereits nicht mehr ganze Silben zu schreiben. Ob sich jedoch schon die semitischen Schriftgelehrten an diesem Prinzip orientierten oder ob es erst von den Phönikern vollends realisiert wurde, die aus den Ansätzen einer Buchstabenschrift ein normiertes Alphabet mit 22 Konsonantenzeichen entwickelten, ist noch nicht geklärt. Die heutigen abendländischen Alphabete wiederum gehen auf die griechische Schrift zurück, die wesentlich auf der phönikischen fußt. Durch die Einführung von Symbolen für Vokale zu einer Lautschrift ergänzt, die Konsonanten und Vokale schreibt, vermochte sie die Notation von Silben gänzlich abzulösen und wurde so zur Ahnin aller Schriften West- und Osteuropas.Aus der griechischen Schrift wurden die italischen Schriften abgeleitet, von denen sich, nicht zuletzt aufgrund politischer und religiöser Machtverhältnisse, vor allem die lateinische Schrift durchsetzte. Ungefähr seit dem 6. Jahrhundert vor Christus entwickelt, fand sie schließlich bei Romanen und Germanen, aber auch Westslawen und einem Teil der Südslawen Verbreitung, und noch das Alphabet des vorliegenden Textes ist lateinisch. Allerdings ist mit der Übertragung der Schrift auf Sprachen anderer Lautgestalt die ursprüngliche Entsprechung von Laut und Schriftzeichen teilweise verloren gegangen. So finden sich etwa im Deutschen Laute, die mit mehreren Buchstaben notiert werden, beispielsweise ch, pf oder sch. Ein und derselbe Laut kann, wie etwa [i:] im Falle von mir, hier oder ihr, unterschiedlich geschrieben werden. Ein und derselbe Buchstabe kann verschieden ausgesprochen werden, man denke nur an das Beispiel von Ofen [o:fn] und Korb [kɔrp]. Dies macht orthographische Festlegungen nötig, die das Erlernen des Schreibens erschweren und ihrerseits selbst immer wieder nach Reformen verlangen.Prof. Dr. Volker Beeh, DüsseldorfWeiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:Wörter in ihrer lexikalischen und grammatischen DimensionGrundlegende Informationen finden Sie unter:Sprache: Einige allgemeine Eigenschaften
Universal-Lexikon. 2012.